Gefühle in Portraits ausdrücken | Persönliche Anleitung
Ein Portrait eignet sich hervorragend, um Gefühle zu vermitteln und Lebenserfahrungen fotografisch zu verarbeiten. Doch wie schafft man es, seine Emotionen auf das Portrait zu transportieren? Welche Dinge sind während und nach der Aufnahme zu beachten, um ein kunstvolles Portrait zu erzeugen? In diesem Beitrag möchte ich dir anhand eines Beispiels aus meiner eigenen Arbeit zeigen, wie du eine Stimmung fotografisch umsetzen kannst.
Inhaltsverzeichnis
Idee für dein Portrait finden
Zunächst solltest du dir überlegen, welches Gefühl du mit deinem Portrait vermitteln willst. Ich hatte zum Beispiel die Idee, eine Ghosting-Erfahrung fotografisch zu verarbeiten. Ghosting beschreibt das Phänomen, wenn eine Person wie ein Geist (engl. „Ghost“) plötzlich aus deinem Leben verschwindet. Der Kontakt wird ohne eine Erklärung oder einen Abschied einfach abgebrochen. Ghosting kann in jeder Form der Beziehung passieren: Nach einem Date, in einer Freundschaft und sogar in einer Partnerschaft.
Den Zwiespalt zwischen weitermachen, weil man es ja nicht ändern kann, und zurückblicken, der Frage nach dem „Warum“: Diese zwei Seiten sollten im Bild einander gegenübergestellt werden. Zuerst habe ich versucht Portraits in Photoshop zu spiegeln, aber damit konnte ich die Emotionen nicht angemessen transportieren.
Bei der Methode, den Spiegel nachträglich in die Bildmitte zu bringen, hatte ich das Gefühl, dass die zwei Seiten zu weit voneinander getrennt sind. Der Unterschied zwischen der hellen und der dunklen Seite war insgesamt nicht ausgeprägt genug. Hier hätte man mit zwei unterschiedlichen Gesichtsausdrücken arbeiten müssen, statt auf eine Grunddatei aufzubauen.
So entstand nach und nach die Idee mit einer Doppelbelichtung. Und weil dafür ja sowieso neue Portraits nötig waren, konnte ich auch noch mehr Details und Symbole einflechten als mit bereits existierenden Fotos.
So gestaltest du dein Portrait
Wie soll die Bildgestaltung aussehen?
In westlichen Kulturen lesen wir von links nach rechts, daher ist das auch die Reihenfolge für die sogenannte Zeitleiste im Bild: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, von links nach rechts. Die düstere Seite muss also nach links – es lohnt sich, das im Voraus gründlich zu planen, denn ich habe die Portraits erst einmal falsch herum aufgenommen. Für die Bearbeitung musste ich sie spiegeln!
Die düstere Vergangenheit und das Bedauern auf der einen, Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft auf der anderen Seite: Der Effekt der Doppelbelichtung passt durch die Transparenz sowohl zum Thema „Zerrissen“ (überlappende Mitte als Basis) als auch zum Punkt „Ghosting“ (die Hälften sind durchscheinend).
Welche Symbolik passt zum Gefühl des Portraits?
Analysiere zunächst, welche Gefühle dein Portrait transportieren soll und recherchiere dann die passenden Symbole. Je nach Zielgruppe des Portraits kannst du natürlich auch persönlichere Symbole wählen. In diesem Fall wollte ich den Kontrast zwischen positiven und negativen Gefühlen herausarbeiten, also die Trauer der Hoffnung gegenüberstellen.
Generell passend für negative Gefühle sind zum Beispiel Vanitas-Symbole wie der Totenkopf. Das war mir für das Ghosting-Thema allerdings entschieden zu düster. Mit Blumen kannst du auch die verschiedensten Emotionen transportieren. In meinem Fall hätte ich abgestorbene Blumen auf der linken und frische auf der rechten Seite wählen können. Alternativ kannst du auch tiefer in die Thematik einsteigen und die Blumen nach ihrer Bedeutung aussuchen: Lilien für Trauer, Rosen für Liebe, Veilchen für Hoffnung.
Ich wollte mit meinem Portrait das Gefühl der inneren Zerrissenheit transportieren, deshalb fiel meine Wahl letztendlich auf:
- den Schmetterling (rechts): Er symbolisiert sowohl Hoffnung als auch Veränderung.
- den Nebel (links): Er wirkt bedrückend, verschleiert aber auch.
Was drückt die Körperhaltung aus?
Die Handhaltung links zeigt, dass das Herz noch nicht damit abschließen konnte. Wenn wir Herzschmerz haben, legen wir oft die Hand entsprechend auf die Brust, hier zog ich die Verlängerung über den anderen Arm in Richtung Dunkel. Die Botschaft lautet: „Ich möchte eigentlich nicht loslassen!“
Auf der anderen Seite die Hoffnung. Der Schmetterling, der auf den Fingern landet und die zweite Hand, die hoffnungsvoll danach greift. Das Motiv der Gegenüberstellung von Verzweiflung und Hoffnung findet sich auch in der Haltung an sich: Links eher geduckt und rechts mehr aufgerichtet.
Wer modelt?
In diesem Fall war es meine persönliche Erfahrung, die ich verarbeiten wollte, daher habe ich ein Selbstportrait aufgenommen. Wenn du nicht selbst vor die Kamera willst, überlege wer diese Emotion für dich transportieren kann. Das Model muss dir nicht zwangsläufig ähnlich sehen, wäre aber durchaus ein Kriterium. Er oder sie kann auch körperliche Ähnlichkeit mit der negativen Person haben. Vielleicht gab es Freunde oder Familienmitglieder, die dich in einer schweren Situation unterstützt haben und in deinem Bild die Hoffnung symbolisieren können?
Überlege, aus welcher Situation das Gefühl entstanden ist. Wenn du die Gefühle eines Bodyshaming-Opfers in einem Portrait darstellen willst, kannst du ganz bewusst nach Curvy- oder Skinny-Models suchen. Hier musst du aber offen über die Grundidee sprechen, um Missverständnissen vorzubeugen! Für die Modelsuche gibt es viele verschiedene Plattformen. Ich selbst suche meistens über die sozialen Medien, also hauptsächlich Facebook und Instagram. Hin und wieder schaue ich auch in Datenbanken nach, zum Beispiel bei Pixolum.
Ihr könnt euch nur schwer entscheiden? Seht euch Portfolios an und lasst euer Bauchgefühl entscheiden!
Überlege, aus welcher Situation das Gefühl entstanden ist.
Christine Gober
Wo ist der geeignete Ort für die Aufnahme?
Für die Location-Suche empfehle ich eine ähnliche Vorgehensweise wie bei der Auswahl des Models. Was entspricht der Grundstimmung des umzusetzenden Gefühls? Je nach Emotion, die transportiert werden soll, bieten sich die verschiedensten Hintergründe an: ein dunkler Wald für die Angst oder eine helle Blumenwiese für die Freude. Ich habe mich hier für eine Außenaufnahme entschieden, weil ich gerne Zeit in der Natur verbringe und diese Waldlichtung einer meiner Lieblingsplätze ist, wenn ich nachdenken will.
Eine Doppelbelichtung kann man aber genauso gut im Studio fotografieren. Auf grauem Hintergrund lassen sich in Photoshop sowohl Backgrounds als auch Texturen sehr einfach einfügen und austauschen. Bei diesem Projekt hätte ein einfacher, dunkler Hintergrund seinen Zweck also ebenso erfüllt.
Bearbeitung des Portraits
Schritt 1: Farbverlauf
Dank des Doppelbelichtungsmodus meiner Kamera (Canon EOS 5D MarkIII) musste ich bei der Bearbeitung gar nicht mehr besonders mit den Ebenen spielen. Auch die Hautretusche fällt durch die Transparenz fast gänzlich weg.
Im ersten Schritt habe ich mich um den Farbverlauf gekümmert. Dass ich die zwei Seiten dadurch trenne, war von Anfang an klar. Hierfür nutze ich in Photoshop die Verlaufsumsetzung, da sich diese jederzeit in Farbe, Helligkeit und Sättigung nachträglich noch anpassen lässt. Kleiner Tipp an dieser Stelle: Wenn du den Verlauf von Schwarz nach Weiß wählst und nur über einen Punkt in der Mitte färben, dann berücksichtigt Photoshop Schatten und Lichter.
Schritt 2: Details
Im nächsten Schritt kommen dann auch schon die Details ins Bild. Genauso vielseitig einsetzbar sind natürlich auch Texturen. Ganz tolle Overlays gibt es zum Beispiel bei Taydoo. Der Schmetterling ist eine Textur, die ich als Smartobjekt separat bearbeitet habe. Auch der Nebel auf der linken Seite besteht aus zwei Texturen und einer zusätzlichen Pinsel-Ebene. An dieser Stelle empfehle ich dir auch gerne unseren Artikel zur Nebelfotografie!
Den Blick des Betrachters führe ich mit einer leichten Vignette, welche ich auf der rechten Seite stärker ausmaskiert habe. Um den Gegensatz zu verstärken, kam auf der rechten Seite noch ein Lichteinfall dazu. Im letzten Schritt gab es dann noch eine Ausgabeschärfe.
Tipps für das Selbstportrait
Wenn du auch ein Selbstportrait aufnehmen willst, geh folgendermaßen vor: Kamera und Stativ platzieren und einen Punkt auf der Ebene, wo du später bist, zum Scharfstellen suchen. Am besten einen Funkauslöser mitnehmen und an der Kamera den Selbstauslöser einstellen, damit man den Funksender noch verstecken kann. Hier reicht theoretisch die kleinste Einstellung, aber mit z.B. 10 Sekunden lässt sich die Pose noch schön korrigieren.
Neuere Kameramodelle lassen sich sogar per App kontrollieren! Ich muss zum Nachschauen noch hin und her laufen, aber auch dafür entwickelt man mit der Zeit ein Gefühl. Mein Funkauslöser ist relativ groß, daher werfe ich ihn meistens aus dem Bild. Es gibt natürlich auch kleine Varianten, die man leicht in der Hand oder hinter Requisiten verstecken kann. Hat man erst ein Gefühl dafür entwickelt, kann man natürlich auch bei Selbstportraits mit zusätzlichen Lichtquellen arbeiten.
Bin ich zufrieden?
Am Ende habe ich mit meinem Bild genau die Art von Erinnerung geschaffen, die ich mir vorgestellt hatte. Das Schöne an der Kunst ist aber, dass sie auf jeden Menschen anders wirkt und es ganz verschiedene Möglichkeiten gibt, wie man sie interpretieren kann.
Einige Reaktionen auf das Bild lauteten so:
- „Optisch gesehen überlagert die Vergangenheit noch immer zu einem Teil die Zukunft.“
- „Für mich wirkt das nicht wie Zukunft und Vergangenheit, sondern als ob du grade an einem Scheideweg stehst und dir überlegst, in welche Richtung es gehen soll in der Zukunft.“
Auch das ist für mich sehr interessant, denn genau darum geht es doch bei der Kunst: Eine Vielfalt an unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten!
1 Gedanken und Fragen