Fliessendes Wasser fotografieren | So gelingt der seidig-glatte Effekt
Hast Du dich schon mal gefragt, wie du fliessendes Wasser fotografieren kannst? Mit diesem Beitrag möchte ich dir die Langzeitbelichtung näherbringen. Damit wirst du grossartige Bilder von fliessendem Wasser machen – natürlich mit dem erwünschten glättenden Effekt, der das Wasser weich und geschmeidig aussehen lässt.
Inhaltsverzeichnis
1 Fliessendes Wasser / Location finden
Bei der Suche nach den richtigen Gewässern, gehe ich recht pragmatisch ans Werk. Am besten verwendest du dafür Google Maps. Wenn ich mit meiner Familie wandern gehe, achte ich gleich auf die Gewässer in der Umgebung. Da meine Kamera mein ständiger Begleiter ist, wird auch mal ohne Filter oder Stativ fliessendes Wasser fotografiert, zumal es mit zwei kleinen Kindern nicht ganz einfach ist, sich die Zeit für das Aufstellen vom Stativ, das Aufschrauben des Filters usw. zu nehmen. Es kann also vorkommen, dass ich ein zweites Mal alleine oder mit meinem befreundeten Fotografen zu dem entdeckten Spot gehe, um die Aufnahmen in Ruhe durchführen zu können.
2 Der richtige Blickwinkel
Meistens habe ich keine Stiefel dabei. Das führt unweigerlich dazu, dass der Blickwinkel für fliessendes Wasser nicht immer der Richtige ist. Doch was heisst hier „richtig“? Ich bin persönlich der Meinung, dass ein Foto in erster Linie einem selber gefallen soll. Was dann andere darüber denken ist zweitrangig.
Meistens stelle mich an den Rand und schaue mir den Lauf des fliessenden Wassers an. Dann entscheide ich darüber, ob ich eher einen tiefen Kamerastand oder einen erhöhten Kamerastand wähle. In der Regel entscheide ich mich für einen eher tiefen Stand, da ich die Wirkung der Fliessbewegung einfangen möchte. Deshalb bewege ich mich dann auch hauptsächlich am Rand des Gewässers. Bei dem folgenden Foto habe ich bewusst auf einen tiefen Blickwinkel verzichtet, da aus meiner Sicht zu viel Vordergrund auf das Bild gekommen wäre. Der Hintergrund war mir wichtiger. Das kannst Du natürlich situativ selber entscheiden. Es soll deinem Auge gefallen.
3 Sicherung der Kameraausrüstung
Wenn du für fliessendes Wasser eine Langzeitbelichtung machen möchtest, ist es ein absolutes Muss die Kamera auf ein Stativ zu setzen, da du die Kamera unmöglich über längere Zeit stillhalten kannst. Ohne Stativ wird es unweigerlich zu Verwacklungen führen. Zusätzlich solltest du vermeiden, die Kamera zu nah ans Wasser zu stellen, denn bei einem Sturz ins Wasser kann das dann ziemlich teuer werden (ausser zu hast eine gute Versicherung).
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4 Kameraeinstellungen
Bildschärfe
Um fliessendes Wasser zu fotografieren, empfehle ich dir das Live-View Bild der Kamera zu benutzen. Der sogenannte Live-View-Modus. Warum? Dann siehst du genauer, wo der Fokus gesetzt werden muss, damit das Bild durchgängig scharf ist. Ein weiterer Vorteil ist, der Spiegel ist dann bereits geöffnet und es führt in Kombination mit dem Selbstauslöser von 2 Sekunden, zu weniger Verwacklungen. Es gibt hierbei zwei Möglichkeiten, ein durchgängig scharfes Bild zu erhalten:
- Blende: Eine mittlere Blende um f11, den Fokus im vorderen Bereich gesetzt. Das führt zu einer recht guten Tiefenschärfe. Eine kleine Blende, über f16 führt zu einer Bewegungsunschärfe welche sich nicht mehr beheben lässt. Eine grössere Blende, z.B. f2.8 führt dazu, dass der Vordergrund scharf, aber der Hintergrund unscharf wird. Und das möchte ich eigentlich vermeiden.
- Fokusstacking: Fokusstacking heisst nichts anderes, als dass man eine grössere Blende wählt, z.B. f5.6 und dann im manuellen Modus zwei oder mehre Fotos erstellt. Mehr dazu in diesem Tutorial.
Hierfür ist es unabdingbar, dass alle Einstellungen vom ISO-Wert über die Blende und Belichtungszeit unverändert bleiben.
Langzeitbelichtung
Um eine Langzeitbelichtung zu erstellen, benötigst du Filter. Das sind sogenannte GND-Filter. Ausgesprochen heisst das «graduated neutral density filter». Oder auf Deutsch: ND-Filter oder neutraldichte Filter. Diese Filter sind als Schraub-, oder Steckfilter erhältlich. Beim Steckfilter ist einfach noch die entsprechende Halterung notwendig. Über richtige Filter oder falsche Filter wird immer wieder diskutiert. Du musst für dich herausfinden, was der richtige Filter ist. Bei Schraubfiltern ist die Vorbereitungszeit etwas kürzer.
Die Filter sorgen dafür, dass weniger Licht auf den Sensor fällt. Was dazu führt, dass du fliessendes Wasser länger belichten kannst. Und das wiederum führt zu dem gewünschten seidig-glatten Effekt. Je nachdem, wie stark der Filter ist, kannst du über mehrere Minuten oder gar Stunden belichten. Hierfür können mehrere Filter übereinander gelegt werden. Anhand dieser beiden Beispiele siehst du, worin der Unterschied zwischen einer „normalen“ Belichtung und einer Langzeitbelichtung besteht.
Foto mit normaler Belichtungszeit: Die einzelnen Tropfen des Wasserfalls sind sichtbar. Belichtungszeit: 1/25 Sek., Blende: f2.8 ISO: 500, Brennweite: 70 mm
Foto mit Langzeitbelichtung: Die einzelnen Tropfen sind zu einem „milchigen“ Schleier geworden. Wieso das? Durch die Lange Belichtungszeit, ist viel Wasser geflossen und ist ineinander „geflossen“. Belichtungszeit: 30 Sek., Blende: F11 ISO: 100, Brennweite: 27 mm
In beiden Fällen wurde das Bild mit dem Canon 24-700mm, f2.8 aufgenommen.
5 Filter
Wie bereits erwähnt, sollten Langzeitbelichtungen mit sogenannten ND-Filter gemacht werden. Um den Effekt noch zu verstärken, können zusätzlich folgende Filter eingesetzt werden:
- Polfilter
- Verlaufsfilter
Polarisationsfilter
Der Polarisationsfilter, auch Polifilter genannt, führt dazu, dass du durch das Wasser hindurchsehen kannst. Dies hat noch den angenehmen Nebeneffekt, dass der Filter die Lichtmenge um ca. zwei Blendenstufen „schluckt“. Das führt wiederum dazu, dass unter Umständen, je nachdem wie hell oder dunkel die Location ist, kein zusätzlicher ND-Filter benutzt werden muss. Je nach Grad des gewünschten Effekts, musst du dann aber doch noch ein ND-Filter einsetzen. Für mich persönlich kann dieser Effekt nicht extrem genug sein, aber das ist bekanntermassen Geschmackssache. Der Polfilter, richtig eingesetzt, führt noch dazu, dass die Farben, insbesondere das Blau oder Grün, besonders „sättigend“ zur Geltung kommen (lies später mehr dazu in unserem Artikel zur Farbsättigung).
Verlaufsfilter
Es existieren zwei Arten von Verlaufsfilter. Wobei der Aufbau immer der Gleiche ist. Sie sind rechteckig, unterscheiden sich aber im Grad der Abdunklung.
- harter Verlauf
- weicher Verlauf
Der harte Verlauf kommt zum Einsatz, wenn der Horizont gradlinig ist und der weiche Verlauf, wenn der Horizont uneben ist. Diese Filter werden in der Regel so eingesetzt, dass das obere Drittel des Objektivs durch die Graustufe abgedeckt ist. So kannst du etwas länger belichten, ohne dass der obere Drittel „ausreisst“, also überbelichtet ist. Das kann insbesondere dann hilfreich sein, wenn es im oberen Drittel zu einem Sonneneinfall kommt, der sich dann störend auf das Bild auswirken könnte. Die Nachbearbeitung mit einem digitalen Filter ist aus meiner Sicht eher mühsam.
Meine Verlaufsfilter haben eine maximale Stärke von 0.9 Blendenstufen.
Philippe Müller
Die Verlaufsfilter können auch verkehrt herum genutzt werden. Dies hat einen ähnlichen Einfluss wie ein ND-Filter, nur dass der Verlaufsfilter nicht gleich viel Licht schluckt, wie ein ND-Filter. Denn der ND-Filter nimmt je nach Stärke bis zu 10 Blendenstufen Licht auf – was eben zu diesem seidig-glatten Effekt führt. Hier noch eine kleine Eselsbrücke:
- NDG 0.3 entspricht 1 LW (Blende) Reduktion
- NDG 0.6 entspricht 2 LW (Blenden) Reduktion
- NDG 0.9 entspricht 3 LW (Blenden) Reduktion
7 Bildausschnitt
Zu guter Letzt ein weiterer wichtiger Punkt – der Bildausschnitt. Man liest immer wieder, dass anhand des Bildausschnitts gesehen werden kann, ob ein Anfänger oder ein fortgeschrittener Fotograf am Werk war.
In der Regel wähle ich eher eine tiefe Position, um fliessendes Wasser zu fotografieren. Warum das? Wenn der Kamerastand erhöht ist, kommt die Fliessbewegung nicht zum Tragen. Dies betrifft vor allem die Flussläufe. Anders verhält sich das bei Wasserfällen, die sich von oben nach unten bewegen. Da kann man schon mal auf Augenhöhe fotografieren. Ausser du stehst sehr nahe am Wasserfall, so wie es zum Beispiel beim „Leuenfall“ im Alpstein möglich ist. Da bist du verhältnismässig nahe am Geschehen. Deshalb muss eine tiefe Position gewählt werden, da sonst nicht der ganze Wasserfall auf das Foto passen würde. Auch ein Wasserfall wie der „Rheinfall“ in Schaffhausen sollte eher von oben herab, oder seitlich fotografiert werden. Auch Schluchten können in der Regel nur erhöht fotografiert werden, da es die Situation nicht erlaubt, sich in die Schlucht selbst begeben zu können.
Hier findest du unseren separaten Beitrag zum Bildausschnitt mit allen Methoden.
8 Hilfsmittel
Bei Langzeitbelichtungen kann es sehr hilfreich sein, mit einem Fernauslöser zu arbeiten. Dies bringt folgende entscheidende Vorteile:
- Weniger Verwacklungen beim Auslösen, da die Kamera nicht berührt wird.
- Individuelle Einstellung der Belichtung.
- Einstellung von HDR Bilder oder Timelapse Fotos.
Du kannst je nach Kamera entsprechende Hilfsmittel wie kabelgebundene Auslöser oder Funkfernauslöser benutzen. Es gibt 1000 Möglichkeiten, beziehungsweise Modelle, die dir zur Auswahl stehen. Ich persönlich nutze seit kurzem den Auslöser von „Miops“.
Auch die Kamera beeinflusst, für welches Modell du dich schlussendlich entscheidest. Eine etwas ältere Kamera hat unter Umständen kein W-Lan oder Bluetooth. Da bist du dann gezwungen, einen kabelgebundenen Auslöser zu nutzen oder mit einem Adapter zu überbrücken.
Je nach Kamera gibt es auch eine App, welche über das W-Lan oder Bluetooth mit der Kamera kommuniziert. Bei Canon heisst diese App „Camera Conect„. Ein Nachteil von diesem Auslöser ist, bei längerem Belichten über 30 Sek musst du immer den Finger auf der App lassen, damit du je nachdem, zwei oder drei Minuten belichten kannst. Aus diesem Grund empfehle ich dir einen Funkfernauslöser zu benutzen.
9 Nachbearbeitung
Bei der Bildbearbeitung ist für mich der persönliche Geschmack massgebend. Ich persönlich versuche wenig am Bild zu bearbeiten, da ich möglichst nahe am Original bleiben möchte – also an der Natur. Wenn man eine Aufnahme „gestackt“ hat, ist es wichtig, dass es keine unschönen Überblendungen gibt.
10 Warum ich Wasser so gerne fotografiere
Langzeitbelichtungen bieten einem die Möglichkeit, eine „wilde“ Szene mit dem seidig-glatten Effekt auf eine gewisse Art und Weise ruhig darzustellen. Selbstverständlich kann man sich die Frage stellen: „Möchte das überhaupt Jemand sehen, oder ist diese Art der Fotografie erstrebenswert?“ Ich meine Ja, absolut! Die Welt ist hektisch genug. Bei einer Langzeitbelichtung müssen diverse Punkte beachtet und eingehalten werden. Man konzentriert sich auf die Szenerie, beobachtet, interpretiert, schaut und hält auch mal inne, um das fliessende Wasser einfach auf sich wirken zu lassen. Das ist für mich Entspannung pur. Dafür sollte man auch das Smartphone in der Hosentasche lassen. 😉 Es erfordert eine gewisse Konzentration und man kann sich etwas abkapseln. Das hektische Leben bei Seite lassen.
11 Nichts abbrechen
Bitte hinterlasst keine Spuren Eures Besuchs. Sei es Abfall oder Fussspuren, im Sinne von zerbrochenen Zweigen, Ästen oder Ähnliches. Wenn etwas vor der Linse steht, was „störend“ wirken kann, nicht einfach abbrechen oder abknicken. Auf die Seite schieben reicht völlig aus. Oder wechsle deine Position. Ich persönlich versuche sogar das „störende“ Objekt in das Foto einzufügen. Das kann auch zu erstaunlichen Aufnahmen führen.
2 Gedanken und Fragen