Positiver und Negativer Raum in der Fotografie
Je mehr man sich in die Materie der Fotografie vertieft, desto klarer wird, dass alles mit Emotionen verbunden ist. Jede Entscheidung und jeder Gedankengang hat irgendwo mit einer Emotion zu tun. In der Fotografie gibt es zwei Techniken, die die Wahrnehmung und das Gefühl des Betrachters starkt beeinflussen: Positiver und negativer Raum. In diesem Artikel lernst du, wie du den positiven und negativen Raum bewusst in deine Bilder einbauen kannst, um mehr Emotion zu erzeugen.
Inhaltsverzeichnis
Was ist positiver und negativer Raum?
Der positive oder negative Raum definiert, was in einem Bild heraus sticht. Welche Teile des Bildes ziehen die meiste Aufmerksamkeit auf sich? Welche sind eher hintergründig?
- Der positive Raum ist jeder Teil des Fotos, der aus seiner Umgebung herausspringt. Dazu gehört z.B. dein Motiv und andere bemerkenswerte Detailbereiche.
- Negativer Raum ist genau das Gegenteil. Nämlich Teile eines Bildes, die nicht so viel Aufmerksamkeit erregen, den positiven Raum umgeben und ihm einen Puffer geben.
Ein Beispiel
Das einfachste Beispiel ist das Schreiben auf Papier. Die Worte springen uns an, der Hintergrund nicht. Demnach sind Wörter positiver Raum, während der Hintergrund den negativen Raum darstellt. Bilder sind nicht anders. Sieh dir dazu das untenstehende Titelbild oben an: Der Vogel hebt sich vom Hintergrund ab. Dies macht ihn zum positivem Raum, während der verschwommene Hintergrund negativer Raum ist. Die Situation ist vergleichbar mit den Wörtern auf einem Blatt Papier. Dein Auge zielt automatisch auf den positiven Raum.
Du wirst nicht immer Bilder von Umrissen mit solch auffälligen Bereichen von positivem und negativem Raum machen, aber meine Hoffnung ist, dass dieses Bild die Grundlage für komplexere Kompositionen legt. Diese Konzepte sind immer anwendbar, unabhängig von dem Bild.
Positiver Raum – Beispiele
Einige Fotos haben mehr positiven oder negativen Raum als andere. Nachfolgend zeige ich ein paar Bilder mit viel positivem Raum und erkläre, was den positiven Raum ausmacht.
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1 Der dichte Wald
In diesem Beispiel erregen viele Blätter und Baumstämme im ganzen Bild Aufmerksamkeit. Es gibt hier keinen einheitlichen „Hintergrund“. Man könnte argumentieren, dass die wenigen gelben Büsche im mittleren Teil als negativer Raum durchgehen könnten, aber sie nehmen nicht viel vom Bild ein. Gleiches gilt für die Baumstämme, die in ihren dunkelsten Regionen sehr wenig Details aufweisen – aber wiederum nur einen Bruchteil des Fotos abdecken. Ansonsten hat der Großteil des Fotos ein hohes Maß an Textur und Detailtreue. Es ist ein sehr geschäftiges, überfülltes Bild.
2 Die Architektur in Paris
Dieses Foto ist ein Lehrbuchbeispiel für einen extrem positiven Raum. Das gesamte Bild zeigt Details von oben nach unten, ohne jeglichen klaren Hintergrund. Es ist ein sehr chaotisches Bild – und das ist der Punkt. Mein Ziel hier? Ich wollte das verrückte, geschäftige Durcheinander interessanter Architektur in Paris zeigen. Das Foto funktioniert, weil die überfüllte Komposition mit der überfüllten Wesen der Stadt selbst übereinstimmt. Jeder Teil dieses Bildes zieht die Aufmerksamkeit auf sich, aber keiner hebt sich wesentlich stärker ab als der Rest. Es ist alles ein positiver Raum.
Negativer Raum – Beispiele
Der negative Raum ist in der Welt der Fotografie ebenso wichtig. Eventuell sogar wichtiger als der positive Raum, da er ein super Basis bildet, wenn du einfache, aber effektive Bilder aufnehmen möchtest. Im Folgenden einige gute Beispiele von Bildern, die das verdeutlichen.
3 Ein Schmetterling vor grauem Hintergrund
Hier handelt es sich um ein gutes Beispiel einer Bildkomposition mit negativem Raum. Das Bild ist sehr minimalistisch. Lediglich zwei Bereiche des Bildes ziehen wesentliche Aufmerksamkeit auf sich: Der Schmetterling und die Pflanze. Alles andere in dem Bild ist negativer Raum, der in den Hintergrund gerückt wird. Die Subjekte werden im Vergleich mit ihrer Umgebung verkleinert. Sie schweben in einer Leere von negativem Raum. Der negative Raum ist ein Puffer und hat einen grossen Einfluss auf die Atmosphäre des Bildes.
4 Der Eiffel Turm
Jeder weiss, dass der Eiffel Turm ein riesiges, beeindruckendes Gebäude ist. In Vergleich mit dem Himmel wirkt er hier jedoch ziemlich klein. Jedenfalls ist es das, was dieses Beispiel zu vermitteln versucht. Ähnlich wie in dem Schmetterlings-Bild, ist auch hier viel negativer Raum vorhanden. Ungefähr die Hälfte des Bildes ist Himmel, ohne grosse Details.
Welche Bereiche des Bildes stechen heraus? Einfach: Der Eiffel Turm selbst. Weniger prominent sind die Häuser der Stadt, die auch positiven Raum darstellen, das ist auch schon alles. Der Rest des Bildes tritt in den Hintergrund. Das Bild ist sehr reich an negativem Raum.
Negativer Raum – die Psychologie der Kompositionstechnik
Der Effekt des negativen Raumes in der Fotografie besteht in der Regel darin, ruhige Bilder zu erzeugen. Selbst wenn sich Objekte im negativen Raumbereich befinden, kann der Größenunterschied zwischen dem Hauptobjekt und der Umgebung dazu führen, dass man das Hauptobjekt isoliert wahr nimmt. Dies kann Emotionen wie Abgeschiedenheit, Einsamkeit, Entspanntheit, Nachdenklichkeit hervorrufen oder sogar die Wichtigkeit hervorheben. Es kommt auf das Motiv des Fotos an.
Leerer Raum?
Bei dem Wort «negativer Raum» denkt man häufig an ein Bild mit viel leerem Raum. Grosse, schlichte Flächen in einem Bild – wie etwa ein Himmel, Gras, eine Wand oder Wasser. Zwar ist dies die gängigste Art und Weise, negativen Raum einzusetzen, jedoch ist es nicht die einzige Möglichkeit. Negativer Raum muss nicht eine leere Fläche sein. Es können sich Dinge im negativen Raum befinden, jedoch sollten sie niemals die Hauptsubjekte sein.
Die Objekte oder Muster im negativen Raum sind da (die unscharfen Personen auf dem Bild oben), aber sie ziehen nicht die Aufmerksamkeit auf sich, um sie auf den ersten Blick zu betrachten. Stattdessen leiten sie deine Augen zunächst in den Bereich des positiven Raumes (normalerweise wandern die Augen dann durch die Details im negativen Raum). Dies kann häufig mit einer Ähnlichkeit der Subjekte in dem Hintergrund erreicht werden, was sie in Bezug auf das Hauptsubjekt unscheinbar wirken lassen wird.
Emotionale Botschaft
Positiver und negativer Raum sind wichtig, da beide eine emotionale Botschaft vermitteln.
Positiver Raum – emotionale Botschaft
Welche Emotionen vermittelt der positive Raum? Genau das, was du erwarten würdest: Überfüllung, Kraft, Bewegung, Chaos und Stärke. Einige dieser Emotionen mögen negativ klingen, aber sie müssen es nicht sein. Wenn du möchtest, dass dein Foto aktiv ist, mit vielen interessanten Bereichen, könnte der positive Raum genau das sein, wonach du suchst. Hier ist ein solches Beispiel, bei dem das Foto ein Gefühl von Intensität und Kraft vermittelt:
Dieses Bild verfügt über einige Bereiche von negativem Raum – der Himmel, zum Beispiel – doch es ist auch ziemlich reich an positivem Raum. Mehrere, verschiedene Elemente des Bildes stechen heraus und ziehen Aufmerksamkeit auf sich, was das Endresultat mehr bewegt und dynamisch macht.
Bilder mit hohem Anteil an positivem Raum sind:
- Intensiv
- Belebt
- Aussagekräftig
- Stark
- Lebendig
Negativer Raum – emotionale Botschaft
Die Emotionen des negativen Raums sind genau das Gegenteil. Sie geben deinen Bildern ein Gefühl von Ruhe, Friedlichkeit und Feinheit. Abhängig vom Motiv, können sie auch einsam oder ernst wirken. Der negative Raum ist momentan sehr populär in der Fotografie. Dies hat mit der Entschlossenheit von Bildern mit viel negativem Raum zu tun – sie vermitteln eine sehr bestimmte, ästhetische Atmosphäre.
Ein anderer Faktor ist lediglich der einfache Grund der Bildschirmgrösse. Die Leute sehen sich Bilder auf immer kleineren Bildschirmen der heutigen Welt an. Ein hektisches, chaotisches Bild kann auf einem grossen Druck oder auf einem grossen Bildschirm gut wirken, doch dieser Effekt kann verloren gehen, wenn der Bildschirm lediglich ein paar cm breit ist. Negative Bilder hingegen? Negative Bilder funktionieren gut auf kleinen Grössen, teilweise sogar besser als auf normalen. Der negative Raum im untenstehenden Bild demonstriert sowohl das Grössenverhältnis der Szenerie, als auch die Abgeschiedenheit des Wanderers.
Wo ist negativer Raum zu finden?
Wie findet man negativen Raum? Alles, was du tun musst, ist nach leeren Flächen in der Welt zu suchen. Die Suche nach Elementen die nicht auffallen, ist zunächst vielleicht nicht einfach. Versuche zum Beispiel, den Himmel in deine Kompositionen einzubeziehen. Er ist riesig, überall und (oft) mit negativem Raum gefüllt.
Das Gleiche gilt für die Tiefenschärfe. Durch die Verwendung einer großen Blendeneinstellung kannst du eine geringe Tiefenschärfe einstellen und viele Ablenkungen um dein Motiv herum vermeiden. Wenn das keine Option ist, zählt sogar eine leere Wand als negativer Raum. Wenn du kreativ wirst, kannst du überall Möglichkeiten finden.
Bilder mit hohem Anteil an negativem Raum sind:
- leer
- gedrückt
- friedlich
- ruhig
- abgeschottet
Zusammenfassung
Positiver und negativer Raum sind zwei der wichtigsten Werkzeuge, die dir als Fotograf zur Verfügung stehen. Sie beeinflussen die emotionale Wirkung eines Fotos, was wichtiger ist als alles andere. Einige Fotos haben mehr negativen Raum, was sie vergleichsweise leer macht. Andere sind mit positivem Raum gefüllt, was zu einer überfüllten Zusammensetzung führt. Bestimmte Bilder finden eine Balance, und fallen daher nicht deutlich in eine Richtung. Lies dazu auch unseren spannenden Artikel zum Thema Balance.
Dieses Foto hat eine Mischung aus positivem und negativem Raum, und ich glaube nicht, dass es sich stark zu dem einen oder anderen neigt. Der Himmel und das Eis haben viel negativen Raum, während die Berge, die Kratzer auf dem Eis und die Spiegelungen dazu neigen, herauszuspringen. In solchen Fällen haben die Emotionen, die mit dem positiven und negativen Raum verbunden sind, keine so große Wirkung.
Außerdem ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass weder der positive noch der negative Raum in der Fotografie besser ist. Zweifellos kannst du auf beide Arten erfolgreiche Fotos machen. Der Schlüssel: Beide tragen einfach unterschiedliche Emotionen. Das ist es, was sie in der Fotografie so wichtig macht.
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